3 Dinge, die passieren, wenn du dich mit dir selbst anfreundest

Lena Schulte | 17-12-2019 | 5 min Lesezeit

Tosender Applaus. Grelle Scheinwerfer. Rasendes Herz. Mit Beinen aus Pudding taumelte ich die Bühne hinunter. Geschafft! Ich habe mein erstes Klavierkonzert hinter mich gebracht. Nach wochenlangen Nächten des Horrors, gehe ich heute als Panik-Veteranin von der Bühne. Kein einziges Mal verspielt, von niemandem ausgelacht. Ich platze fast vor Stolz, Freude und diversen anderen Dopamin-Gefühlen. Ich kann es kaum erwarten, am nächsten Morgen in der Schule davon zu erzählen. Aber dort erwarten mich keine Jubelgesänge ... Stattdessen gibt es von meinen Mitschülern eine Klatsche. „Einbildung ist auch eine Bildung”, sagen sie.

Aua. Das hat gesessen. Und zwar so sehr, dass ich mich heute, fast zwanzig Jahre später, immer noch daran erinnern kann. 

Die Lektion, die ich damals wie auch noch viele Male danach lernte, war für mich nur logisch: Wenn du meinst, du hast etwas gut gemacht, werten andere das als angeben. Und niemand mag Angeber. Also psssssst.

Vielleicht kennst du das. Diese Momente, in denen du etwas Tolles geschafft hast. Aber bevor du auch nur anfängst, dich selbst dafür zu feiern, kommt schon dein innerer Kritiker um die Ecke und legt los: Nein, das hast du nicht verdient. Schön, dass du dich freust, aber na ja… Das hätte jeder andere auch hinbekommen, wahrscheinlich sogar besser. Das ist doch nichts. Was soll an deiner Leistung jetzt so besonders sein?

Diesen Kram habe ich mir lange, lange Zeit erzählt. Und ich erzähle ihn mir immer noch ziemlich gerne. Und manchmal ist es auch gut, wenn der innere Kritiker Gehör findet. Sobald die Selbstgespräche mit dem inneren Kritiker jedoch überhandnehmen, können sie schnell eine ungesunde Spirale der Unfreundlichkeit in Gang setzen. Bei mir führte das schlussendlich dazu, dass ich mich selbst nicht mehr so richtig leiden konnte. Und jemand, der sich nicht leiden kann, hat ein echtes Problem. Immerhin hängt er 24/7 an 365 Tagen im Jahr mit sich ab.

Deswegen mache ich jetzt ein bisschen Werbung für die Vorzüge der Selbst-Freundschaft. Diese drei Dinge passieren, wenn du einfach mal netter zu dir selbst bist.

1. Deine Beziehungen verbessern sich

Wer sich selbst nicht auf die rechte Art liebt, kann auch andere nicht lieben. Denn die rechte Liebe zu sich ist auch das natürliche Gutsein zu anderen. Selbstliebe ist also nicht Ichsucht, sondern Gutsein. Robert Musil

Dieses Zitat trifft den Nagel auf den Kopf. Eine gute Beziehung mit sich selbst zu führen, befreit den Kopf. Frei von Gedanken wie: Was sollen die anderen denken? Kann ich das jetzt wirklich sagen? Was hat dieser Blick zu bedeuten? Die denken jetzt wer weiß was! Ist das jetzt richtig, was ich mache?

Selbstliebe: 3 Dinge, die passieren, wenn du dich mit dir selbst anfreundest

Jemand, der mit sich in einem freundschaftlichen Verhältnis steht, muss keine übermäßige Zeit mehr dafür aufwenden, sich ständig selbst infrage zu stellen und jeden schiefen Blick zu interpretieren. Wenn du dich selbst magst, hast du dementsprechend einen Zeitvorsprung und Authentizitätsvorteil. Du kannst dich viel intensiver auf andere Dinge konzentrieren, die gerade wirklich wichtig sind. Zum Beispiel dein Gegenüber. Sich auf jemanden einlassen zu können, ist eine Kunst, die viel besser funktioniert, wenn dein Ego nicht ständig dazwischenfunkt, weil es mit sich selbst oder seinen Komplexen beschäftigt ist. Wenn du gut zu dir bist, tust du es im Grunde genommen also nicht nur für dich, sondern für die Menschen, die dich, dein wahres Ich, deinen Rat, deine Wärme und deine ungeteilte Aufmerksamkeit brauchen.

2. Du bekommst Liebe, wenn du sie am meisten brauchst

Das Schöne an engen Freunden ist, dass man sie immer anrufen kann, wenn es einem schlecht geht. Und für den Moment tut das auch wirklich gut und ist absolut wichtig. Aber manchmal löst sich dieses tröstende Gefühl der Liebe schnell wieder in Luft auf. Vielleicht sogar schon zehn Minuten, nachdem das Gespräch vorbei ist, der beste Freund weg und man wieder mit sich und seinen Gedanken allein ist. Und manchmal, wenn es ganz schlimm kommt, hilft nicht einmal der Austausch mit den Liebsten, um sich besser zu fühlen. Die Liebe von außen rauscht dann einfach an einem vorbei.

Das Ding ist: Der beste Freund, Mutti oder ein anderer hochrangiger Quell der Liebe können nicht immer zur Verfügung stehen. Wir werden niemals frei von Momenten sein, in denen wir uns selbst brauchen. In denen wir unser Mitgefühl und unsere Zuwendung von uns selbst ganz bitter nötig haben. In den schlimmsten Momenten deines Lebens ist kaum etwas so wichtig, wie das Verhältnis, das du zu dir selbst aufgebaut hast. Wenn du anfängst, immer mal wieder mit dir selbst umzugehen wie mit deinem besten Freund, dann bereitest du dich auf Momente vor, in denen du genau diesen besten Freund ganz dringend brauchst. Und wahrscheinlich wirst du dir sehr dankbar dafür sein.

3. Du wirst realistischer

Was glaubst du: Wie viel Prozent der Teilnehmer eines überteuerten „Tschaka-Tschaka-Lebe-deinen-Traum-und-werde-endlich-glücklich“-Seminars haben ein angenehmes und realistisches Verhältnis zu sich selbst? Ich würde fast mal denken, es könnten mehr sein. Kein Wunder: Wir bekommen überall eingetrichtert, dass wir irgendwie nicht reichen. Dass wir zu viele Schwächen haben, die wir wegoptimieren müssen. Schon längst ein viel aufregenderes Leben führen müssten. Einfach überhaupt irgendwie besser sein müssten. Und los geht’s mit dem Optimierungswahn.

Ich behaupte, im Prinzip wollen wir nur eins: Zufriedenheit. Und Zufriedenheit entsteht am ehesten dann, wenn wir ein gutes Verhältnis zur Realität haben, nämlich zu dem, was IST. Also auch zu dem oder der, die wir gerade sind. Dieses Ich muss nicht in Stein gemeißelt sein. Man kann sein aktuelles Selbst mögen und trotzdem anstreben, sich weiterzuentwickeln. 

Das ist der Unterschied zu denjenigen, die „glücklich sein“ mit „anders sein“ verwechseln – und sich deswegen jede Macke wegoptimieren wollen. Wenn wir anders sein wollen, passiert es oft, dass wir gar kein realistisches Bild mehr von dem haben, was uns wirklich entspricht und Zielen nachjagen, die uns eigentlich gar nicht gehören.

Der Freund in uns sieht, wenn wir uns von uns selbst entfremden. Er hat nämlich Abstand zu den Gedanken, die uns jeden Tag bombardieren. Ein Freund weiß ziemlich genau, wo unsere Stärken und Schwächen liegen. Ein guter Freund hat oft mehr Klarheit über uns als wir selbst. Das ist es, was ein gutes Verhältnis zu sich selbst bedeutet: Klarheit. Und auf dieser Klarheit können wir aufbauen.

Witzigerweise fand eine psychologische Studie heraus, dass wir diese Klarheit nicht unbedingt durch Selbstreflexion gewinnen. [1] [1] Buch: Tasha Eurich (2017) Insight: Why we're not as self-aware as we think, and why seeing ourselfs clearly helps us succeed at work and in life   Ja, richtig gelesen. Manchmal kann zu viel Zeit mit Selbstreflexion sogar dazu führen, dass sich unsere Selbsterkenntnis verzerrt. Anstatt also zu viel über uns nachzudenken, sollten wir lieber knallharte Fakten über uns sammeln und versuchen, daraus auf Verhaltensmuster zu schließen. Was sagt dein Kalender über dich? Welche Prioritäten setzt du am Tag, in der Woche? Was sagt deine Kreditkartenabrechnung über dich? Was sagen die Internetseiten, die du täglich aufrufst über dich? 

Bei einem freundschaftlichen Verhältnis zu sich selbst geht es nicht darum, sich jeden Tag selbst zu beweihräuchern und zu huldigen. Es geht darum, mit sich zufrieden zu sein. Jetzt und so wie wir sind – was auch immer passieren mag. Und wenn du stolz bist, dann brauchst du das nicht verstecken. Du solltest es sogar nicht verstecken. Du würdest deinem besten Freund niemals verbieten, stolz zu sein. Du würdest dich für ihn freuen. Also freu dich mit dir: Du verdienst es.

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Dieser Beitrag stammt von Lena Schulte, hauptberufliche Grinsebacke und Online-Redakteurin. Seit ihrem Studium der Kognitionswissenschaft ist sie fasziniert vom menschlichen Bewusstsein und veranstaltet in der Redaktion gerne mal heimliche Wahrnehmungs-Experimente.

Quellen:

[1] Buch: Tasha Eurich (2017) Insight: Why we're not as self-aware as we think, and why seeing ourselfs clearly helps us succeed at work and in life

5 Kommentare

If your job gave you a surprise three day paid break to rest and recuperate, what would you do with those three days?

DannaWer 02 Juni, 2020

Ich bin Coach und beschäftige mich mit vielen Klienten auch mit Themen wie Selbstliebe und negativen Gedanken über sich selbst. Leider gibt es zu dem Thema nicht so viele deutsche Quellen, die das Ganze etwas differenzierter betrachten. Begriffe wie Selbstfürsorge, Selbstliebe und Selbstwertgefühl werden wild durcheinander geworfen und Selbstliebe wird beschrieben als wär es nicht mehr als zwei Mal die Woche Schaumbad und weniger arbeiten.

Ich empfehle meinen Klienten meistens ein Video von Dr Katharina Tempel (auch Glücksdetektivin genannt) und seit neuestem auch diesen Beitrag hier in Kombination mit eurem anderen Beitrag zum Thema Selbstiebe. Beide sehr schön und differenziert geschrieben!

Juliane Th. 01 Januar, 2020

MDR-Interview auf der Straße: “Was glauben Sie, warum sind die Sachsen-Anhalter heute wesentlich glücklicher als vor 5 Jahren?” “Schwierig. Manche glauben nur einen 600erSE dafür zu brauchen. Hält aber nicht lange vor.”

“Sind Sie glücklich?” Kurzes Zögern, dann “Ja.” “Und was macht Sie glücklich?” “Dass ich mein bester Freund bin”.
Befremden beim Interviewer. Dann zufriedenes Grinsen. Abgang.
Es war tatsächlich so. Für mich war es sehr überraschend, mit welcher – auch inneren – Klarheit ich mich so äußerte. Ohne Häme, ohne Angeberei, ohne Unsicherheit. Weit, weit weg von der Person, die ich jahrzehntelang mit mir herumschleppte. Dieser kleine Vorfall hat mich daher – hoppla – beglückt.
“Nebenbei”: einen nicht geringen Anteil daran dürfte mein recht regelmäßiges Nutzen des 6-Minuten-Tagebuchs haben, mit anschließender /pur-Version (2x) seit Okt.18.
Ich bedanke mich ganz herzlich bei Euch für eine so ausgefeilte und gut umsetzbare Hilfestellung. Wunderbar!

Ulrich 24 Dezember, 2019

Vielen Dank für diesen Denkanstoß. Sofort fiel mir eine Situation vor 45 Jahren ein und ich weiß noch viele Details bis heute ganz genau. Ich freute mich als blutjunge Auszubildende über eine gute Klausurnote im Berufsschulunterricht und meine Mitreisende rief ganz laut im vollbesetzten Zug: Was nur eine Drei???!!! Und weg war meine Freude und die Selbstzweifel gewannen Überhand.

Uschi 21 Dezember, 2019

Absolut richtig! Als Einzelkind fühlt man sich oft egozentrisch und deswegen ist umso wichtiger zu lernen sich lieben und schätzen zu lernen! Und tatsächlich, nur dann und nur so öffnen sich die Türe und Fenster zum anderen (mit)Menschen, die deine positive Einstellung dringend brauchen!

Igor 18 Dezember, 2019

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